Thema des heutigen Beitrags ist Entschleunigung. Wie du vielleicht weißt, war es für mich DAS Thema in 2022 – ich habe eine große Leidenschaft dafür entwickelt.
Jetzt fragst du dich vielleicht, wie es dazu kam. Ich habe irgendwann festgestellt, dass das Tempo, mit dem ich durchs Leben gehe und in dem ich viele Dinge mache, mir gar nicht entspricht. Ich habe wohl irgendwann einmal gelernt, dass ich schnell sein muss und Leistung bringen muss. Das hat dazu geführt, dass ich mir oft keine Zeit für etwas genommen habe und vieles nicht so richtig genießen konnte.
Wenn ich beispielsweise etwas erreicht habe, hab ich direkt weiter gemacht und gar nicht innegehalten und gefeiert, was ich da erreicht habe. Das Problem ist, dass es sich dadurch auch irgendwann so angefühlt hat, als hätte ich nichts erreicht.
Auch schöne Momente habe ich oft damit verbracht an irgendetwas anderes zu denken, im Geist irgendwo anders zu sein – in der Vergangenheit oder in der Zukunft – mich mental an einem Gedankengang oder einer Fantasie festzuhalten – nur eben nicht am Moment.
Oder der Klassiker: wie oft habe ich z.B. gegessen und nebenher E-Mails gecheckt oder auf Instagram, gescrollt? Oder wie oft habe ich versucht mehrere Dinge gleichzeitig zu tun und am Ende habe ich nichts davon WIRKLICH tun können oder eben so, dass ich’s gar nicht richtig mitbekommen habe.
Es gibt unendlich viele Beispiele dafür und vielleicht erkennst du dich darin wieder.
Ich glaube, es ist das Älterwerden und auch meine Lebensumstände (und der gute Einfluss von Menschen in meiner Nähe), die mich im letzten Jahr irgendwie dazu gezwungen haben, ganz heftig zu entschleunigen. Es war total wichtig für mich. Am Anfang hat sich mein ganzes System dagegen gewehrt und ich musste gegen sehr viele Glaubenssätze ankämpfen. Beispielsweise: du musst funktionieren. Wenn du nichts leistest, bist du nichts wert! Wenn du dein altes Pensum nicht beibehältst, bist du schwach… usw. Und irgendwann habe ich gemerkt, wie gut es mir tut, wie gut es meiner Seele tut, endlich das Tempo anzunehmen, das mir entspricht.
Was ich all die Jahre nicht wusste – ich mag’s langsam, mein Nervensystem mag’s langsam, der introvertierte Anteil in mir mag’s langsam. Was ich vielleicht auf irgendeiner Ebene schön öfter gespürt habe, setze ich jetzt um. Ich will nicht gestresst sein und ich will die Dinge in Ruhe tun.
Das Spannende daran ist, dass ich dadurch überhaupt nicht weniger hinbekomme. Und natürlich bin ich dadurch auch viel weniger gestresst.
Was hat das alles mit Beziehungen zu tun? Was du vielleicht schon von mir weißt, ist, dass ich eben auch ein großer Fan davon bin, auch beim Kennenlernen, beim Dating das Tempo zu drosseln.
Ich habe irgendwann entdeckt, dass vor allem Menschen mit Bindungsangst oder irgendwelchen traumatischen Erfahrungen in Bezug auf Bindung extrem davon profitieren, wenn sie sich mit dem Dating Prozess wirklich Zeit lassen. Wenn sie sich keinen Druck machen und alle Erwartungen von sich selbst und dem Gegenüber herausnehmen.
Ich habe bemerkt, wie sensibel das Nervensystem auf „zu viel“ Nähe anspringt. Menschen geraten dann in Panik, wollen nur noch weg oder verlieren sofort das Interesse.
Nun ist das natürlich nicht wirklich ein „zu viel“ an Nähe – bzw. kann sich das für das Gegenüber wie ganz wenig Nähe anfühlen, aber jemand mit Bindungsangst reagiert extrem sensibel darauf.
Wenn du das kennst, dann verbindest du Nähe wahrscheinlich mit ganz viel Schmerz, Angst und vielen schwer auszuhaltenden Gefühlen. Daher will dein System dich eigentlich davor schützen so eine „gefährliche“ Erfahrung nochmal zu machen und alles in dir steht auf Alarm.
Ich will daher wirklich ganz deutlich machen: wenn du Bindungsangst hast und Situationen kennst, in denen du flüchten willst, oder Panik bekommst von zu Nähe und sie dann möglicherweise einfach über dich ergehen lässt – dann sei an dieser Stelle ganz achtsam mit dir. Es bringt nichts, wenn du dich zu etwas zwingst oder anpasst. Du musst lernen, dass DU das Tempo entscheidest.
Vielleicht entsteht dadurch bei deinem Gegenüber Verwirrung oder er/sie hat eine andere Idee, wie schnell es gehen muss. Ich würde dieses Thema dann einfach ansprechen: „Du, ich brauch’ beim Kennenlernen viel mehr Zeit als vielleicht andere Menschen und lass uns da bitte vorsichtig sein.“
Bindungsängstler können meist nicht schnell daten, hassen Datingplattformen oder Verkuppelungsversuche. Das Beste ist, wenn du als Bindungsängstler jemand aus einem anderen Kontext (also z.B. bei einem Hobbie, durch Freunde…) kennenlernst und erstmal eine emotionale Verbindung aufbauen kannst.
Immer wenn ich mit KlientInnen über dieses Thema spreche, höre ich so viel Erleichterung, wenn ich ihnen das „OK“ dafür gebe, sich Zeit zu lassen.
Natürlich gibt es aber auch noch Menschen mit Bindungsangst, die sich eher einer anderen Kategorie (wenn wir das mal so nennen wollen) zuschreiben lassen. Ich würde sagen, das sind vielleicht die, bei denen auch die Verlustangst ganz präsent ist. Dann bist du vielleicht jemand, der absolut schnell in Beziehungen hineinrutscht, alles sofort haben will. Direkt ganz viel Zeit mit dem anderen verbringen will, nur noch an ihn/sie denkt und vielleicht auch obsessive Gedanken hat oder es in irgendeiner Form einen Wunsch nach Verschmelzung gibt.
Und ja, wenn man verliebt ist, ist das ein Stück weit normal. Aber eben auch nur ein Stück weit.
Vernachlässigst du vielleicht andere Menschen in deinem Leben und verlierst deine Hobbys? Kannst du nicht alleine sein und holst dir alle guten Gefühle von deinem neuen Partner?
Das sind für mich alles alarmierende Zeichen und wenn du eher zu dieser Gruppe gehörst: bitte, bitte lass dir Zeit, auch wenn es sich gerade super anfühlt. Warum? Du kennst das vielleicht schon, dass du dich selbst in dieser ganzen Nähe vergisst. Am Anfang ist das vielleicht schön und dann fliegt dir diese Sache um die Ohren.
Meist geht das ca. 3 Monate gut und dann setzt auf einmal Panik ein und Fluchtgedanken und die Gefühle gehen weg, weil alles zu eng wird. Dabei hast du es ja selbst so vorangetrieben. Es ist einfach nicht nachhaltig, direkt am Anfang so viel Gas zu geben. Das ist eher ein Anzeichen dafür, dass man unterbewusst eine Ahnung davon hat, dass man sowieso nicht lange bleiben kann, also holt man sich möglichst schnell, möglichst viel!
Daher schreibe ich das Thema Entschleunigung, auch im Dating, so groß! Auch wenn es sich nicht intuitiv anfühlt – LASS DIR ZEIT. Du bist wahrscheinlich nicht auf meine Seite gestoßen, weil du mit Beziehungen gar kein Problem hast und alles immer super läuft, sondern eher, weil du in diesem Bereich Schwierigkeiten hast. Und wenn man ein unsicheres Bindungsmuster hat, kann man sich oft einfach nicht auf sein Gefühl verlassen! Man muss erstmal LERNEN, wie gesunde Beziehung wirklich geht.
Was genau bedeutet Zeit lassen also? Natürlich muss das am Ende jeder selbst wissen und auch einschätzen, aber um mal eine Orientierung zu geben, rate ich dir Folgendes. Ganz am Anfang reicht es, wenn man sich ein Mal pro Woche sieht. Ich würde nicht direkt stundenlange Dates verbringen. Oder alle Dinge des täglichen Lebens zusammen erledigen. Das betrifft die ganze frühe Kennenlernphase.
Wenn es dann etwas fester wird, frage dich wie viele Tage du dir noch für dich nimmst. Wie viel Zeit verbringst du auch mit anderen? Kommt dein Hobby zu kurz? Also schau, dass dein Leben unabhängig von der anderen Person auch noch weitergeht – und zwar gut weitergeht.
Ich würde dir empfehlen zwei, drei oder auch 4 Tage für dich und deine Dinge zu haben. Ihr dürft ruhig langsam zusammenwachsen.
Du musst auch nicht immer ja sagen, wenn der/die andere dich fragt, ob du etwas unternehmen willst – nur aus Angst er/sie könnte dann weg sein. Schau, dass du nicht in eine Abhängigkeit fällst. Beispielhaft für abhängige Gedanken wäre: „Ich muss dem anderen gefallen/ ich muss es ihm recht machen/ ich muss mich anpassen.“ Schau, dass du dagegen steuerst, in so eine Abhängigkeit zu fallen. Aber bleib im Dialog mit deinem Gegenüber und lass ihn/sie nicht einfach fallen oder im Dunkeln tappen, wenn du dir Zeit für dich nimmst!
Und ganz grundsätzlich: wenn du ein Mensch bist, der sehr sensibel ist, sehr viel von anderen Menschen mitbekommt und sehr emphatisch ist – dann könnte ich mir vorstellen, dass du auch in anderen Lebensbereichen wirklich davon profitierst, dein Leben zu entschleunigen. Versuche immer mehr dich nicht zu stressen, dich nicht durchs Leben zu jagen, sondern die Dinge etwas achtsamer und bedachter zu machen.
Das Schöne ist, dass du dann ein viel besseres Gespür für dich selbst bekommst und dafür, was dir guttut und was nicht. Du kannst Grenzen besser setzen, weil du dich selbst mitbekommst. Du erkennst, welche Bedürfnisse sich melden, wer dir im Kontakt guttut und wer nicht. Dafür musst du dich aber fühlen können und nicht auf Funktionieren und Durchzug schalten.
Es gibt so viele Dinge, die man für mehr Achtsamkeit und Entschleunigung tun kann.
Ich glaube, das Beste ist sich immer wieder ins hier und jetzt zu holen, an das zu denken, was man gerade tut und nicht was kommt oder war.
Mir persönlich tut es zum Beispiel gut, wenn ich den Morgen ganz entspannt angehe – im Zweifelsfall stehe ich früher auf. Ich meditiere dann oder mache eine Dankbarkeitsübung und schalte mein Handy erstmal nicht an.
Ich plane für Dinge genug Zeit ein, sodass ich nicht gestresst bin und unter Zeitdruck komme. Ich versuche mehr zu genießen und mich mehr und mehr davon, alles perfekt haben zu wollen.
Beobachte doch mal, ob dir die Entschleunigung beim Dating und grundsätzlich im Leben nicht auch guttun würde.
Alles Liebe
Maren